A & O
Jost Wischnewski
ALTE FREUNDE
Reinhard Mucha, Gerresheimer Glashütte, 2005
Bernd Jansen, Atelier Düsseldorf, 2017
Heinz Baumüller, Atelier Düsseldorf, 2019
Karl Heinz Rummeny, PARKHAUS im Malkastenpark, 2020
Michael Krajewski, Gerresheimer Glashütte, 2005
Timm Ulrichs, Sprengel Museum Hannover, 2018
Nezaket Ekici / Paula Modersohn-Becker, 2018
Katharina Sieverding, Worpswede, 2014
Stefan Demary, Leipzig, 2010
Stephan von Wiese, Gnarrenburg, 2017
Bruno Mantura, Studio, Rom, 2007
Graziella Lonardi Buontempo, Palazzo Taverna, Rom, 2008
Jost Wischnewski: Porträt INTERN
Jost Wischnewskis Fotografien lassen sich wie Notizen seiner Begegnungen in der Kunstszene betrachten. Es sind Porträts voller Leichtigkeit und Humor, die aus bestimmten Situationen heraus, fast beiläufig, entstehen. Dabei handelt es sich nicht um zufällige Schnappschüsse, sondern um Momente, die von Interaktionen zwischen Fotograf und Modell erzählen. Wischnewski agiert offensichtlich nicht als distanzierter Beobachter. Er ist präsent, mitten im Geschehen, oder taucht spontan auf und regt seine Modelle zu einer Erwiderung an, manchmal auch zu einer künstlerischen Aktion.
So fängt er seine Künstlerkollegen wie Wilhelm Mundt und Christine Schulz oder Kuratoren, darunter Kaspar König, Graziella Lonardi Buontempo und Bruno Corà, bei ihrer Arbeit oder im Gespräch vor und hinter den Kulissen ein. Auch die Pausen, die Unterbrechungen interessieren ihn - ein kurzes Aufblicken aus der Lektüre von Ulrike Groos oder der tiefe Zigarettenzug seines Freundes Stefan Demary. Bezeichnend ist der rasche, zustimmende Augenkontakt des Künstlers Gereon Krebber während seiner Werkinstallation.
Wann überrascht Jost Wischnewski seine Modelle mit der Kamera und wann sind sie mitwissend an ihrer Inszenierung beteiligt? Der Titel seines Künstlerkatalogs „Porträt INTERN“ deutet auf die zweite Vermutung der Komplizenschaft. Freundschaftliche Nähe und Vertrautheit charakterisieren viele der eingefangenen Blicke. Doch verweist der Titel auch auf die persönliche, biografische Ebene, für die drei bisherige Lebensstationen von Wischnewski besonders wichtig sind: Düsseldorf, Rom und Worpswede.
Jost Wischnewski wuchs in Düsseldorf auf und studierte hier ab 1987 an der Kunstakademie zunächst im Orientierungsbereich bei Luise Kimme und Tony Cragg. Aus der Klasse von Klaus Rinke ging er 1993 als Meisterschüler hervor. Zu Studentenzeiten hatte er schon immer seinen Fotoapparat dabei und doku-mentierte den Werdegang der Studierenden, ihren engen Austausch in der Rinke-Klasse und die Geschehnisse an der Akademie. 1988 erhoben sich beispielsweise einige Studenten gegen die Entfernung der legendären Beuys-Fettecke aus dessen ehemaligem Atelier im Erdgeschoss der Akademie. Markus Lüpertz, der 1988 zum Akademierektor ernannt wurde, hatte den Plan verkündet, in diesem Raum ein Casino einzurichten. Dagegen formierte sich eine Gruppe des Widerstands, zu der Johannes Stüttgen und viele Studenten aus Wischnewskis Umkreis zählten.
Heute bekannte Künstler wie Nicola Schrudde und Thomas Stricker studierten gleichzeitig in der Rinke-Klasse. Mit ihnen hat Wischnewski gemeinsam, dass er als Bildhauer vorrangig in situ arbeitet. Er untersucht räumliche und urbane Situationen wie beispielsweise das großstädtische Verkehrsnetz in Rom, die Bedeutung der Transport- und Verkehrswege oder die rheinischen Produktions- und Industrielandschaften und bindet diese in seine künstlerischen Arbeiten ein. Zur Entwicklung seiner bildhauerischen, oft überdimensionalen Werke arbeitet er mit der Kamera, die somit nicht nur dokumentarisch, sondern auch konzeptuell eingesetzt wird. Darüber hinaus entwickelt er eigenständige Fotoserien zu diesen urbanen Themen.
„Porträt INTERN“ stellt wiederum die menschliche Person in den Vordergrund. Der Katalog setzt mit Ausnahme eines früheren schwarzweißen Rinke-Porträts den Fokus auf die Zeit ab 2000, dem Jahr, in dem Wischnewski zur digitalen Fotografie wechselte und fortan überwiegend in Farbe fotografierte. Darüber hinaus verfolgt dieses Buch in einer konzentrierten Auswahl den Seitenwechsel des Künstlers zum Kurator. Sind die Fotoserien in den Industrieanlagen wie der Gerresheimer Glashütte und der HKS-Anlage in Duisburg im Rahmen von Exkursionen mit Reinhard Mucha entstanden, so stehen die Fotoporträts über-wiegend im Zusammenhang mit Projekten und Ausstellungen anderer Künstler, die Wischnewski oftmals angestoßen hat.
Gemeinsam mit Karl Heinz Rummeny und Gregor Russ rief er 1997 den Off-Raum im sogenannten „Parkhaus“ im Düsseldorfer Malkastenpark ins Leben, an dessen Aktivitäten er bis 2008 mitwirkte. Das zuvor leer stehende Parkgebäude wurde zum Ausstellungsraum umfunktioniert und entwickelte sich zu einer Bühne für junge Positionen, sei es, dass Künstler erstmals aus der Kunstakademie heraustraten und sich hier vorstellten, sei es, dass sie aus dem Ausland einer Einladung nach Düsseldorf folgten. Einige Kontakte zu italienischen Künstlern, die im Parkhaus ausstellten, hatte Wischnewski bereits während seines zweijährigen Aufenthaltes in Rom geknüpft. Zudem wurden hier international renommierte Künstler präsentiert, darunter Gilbert & George, Sylvie Fleury, Katharina Fritsch, Christian Marclay und Katharina Sieverding, denen Wischnewski mehrfach begegnet ist. 2008 würdigte die Kunsthalle Düsseldorf das außergewöhnliche „Parkhaus“ mit einer eindrucksvollen Überblicksaus-stellung. Im selben Jahr verlegte Wischnewski seinen Lebensmittelpunkt nach Worpswede. Viele der Düsseldorfer Weggefährten wie Stefan Ettlinger, Bernd Jansen, Christoph Korn, Reinhard Mucha und Stephan von Wiese stehen weiterhin in enger Verbindung zu ihm. Seinen Austausch mit Künstlern und Kuratoren hält er mit gleicher Intensität in Porträtserien fest. Es sind seine persönlichen Wahlverwandtschaften - und er beobachtet sie fortwährend, gleichsam mit einem fotografischen und einem bildhauerischen Auge.
Anne Rodler